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Jüdische Auslegungen und Positionen
zu den Jesajazitaten der christlichen Schriften

Michael Hilton

Juden und Christen haben bekanntlich eine gemeinsame Bibel, aber wir hören nicht auf, uns darüber zu wundern. Die Jünger Jesu (einschließlich Paulus) waren zwar durch ihre Geburt und Erziehung Juden, doch es ist weniger sicher, ob einer der Verfasser der Evangelien jüdisch war oder eine unmittelbare Kenntnis von Palästina besaß. Trotzdem zitierten sie die hebräische Bibel als Beleg für das Kommen Christi.

Möglicherweise lag dies daran, dass Paulus die jüdische Gemeinschaft zwar verlassen, aber sein Judentum bewahrt hatte. Für die Christen galt nun die Kirche als das »wahre Israel«. Die heidnischen Christen akzeptierten schließlich den gesamten Text, der später von den Rabbinen als Wort der Heiligen Schrift definiert wurde.

In der modernen Wissenschaft geht man davon aus, dass das Alte Testament wegen des Streits mit dem Häretiker Marcion im Jahr 144 d.Z. zu einem Teil der christlichen Bibel wurde. Marcion hatte nicht nur die hebräische Bibel verworfen, sondern auch eine Lehre von zwei Göttern vertreten, einem Gott der Güte und einem Gott der Gerechtigkeit. Seine Liste der christlichen Schriften ist der älteste bekannte christliche Kanon. Um ihn zu widerlegen, sah sich die Kirche gezwungen, die Bibel zu erhalten und damit leitete sie eine Debatte zwischen Juden und Christen ein, die seitdem andauert.

Der Kanon

Zur Zeit des Marcion-Streits hatte die jüdische Gemeinschaft gerade die Ketuwim (»Schriften«) abgeschlossen, die später zum dritten Teil der hebräischen Bibel wurden. Rabbi Akiwa und seine Kollegen diskutierten, ob auch Schir ha-Schirim (das Hohe Lied) und Kohelet dazugehören sollten. In dieser Zeit begannen Christen darüber zu debattieren, welche Bücher der hebräischen Bibel akzeptiert werden sollten. Zunächst entschied jede Kirche selbst über den für sie gültigen Kanon. Erst im 4. Jahrhundert wurde ein kirchliches Konzil zur offiziellen Klärung dieser Frage einberufen. Hieronymus (ca. 350—420), der Herausgeber und Übersetzer der Vulgata genannten lateinischen Bibelausgabe, sprach sich für den hebräischen Text aus, ohne die griechischen Zusätze zu Esther und Daniel. Wäre es nicht nach ihm gegangen, hätten Juden und Christen nun in Teilen übereinstimmende Bibeln gehabt, aber keine gemeinsame.

Bereits im 3. Jahrhundert verunglimpften die Kirchenväter Juden und das Judentum. Trotzdem erkannten sie weiterhin die Texte als heilig an, die sie das Alte Testament nannten, und das Juden als Tanach bezeichnen: die Tora (Tora), die Propheten (Nevi'im) und die Schriften (Ketuwim). Bischof Eusebius von Cäsarea (260—3 39 d. Z.) behauptete, es sei zum Wohl der Heidenkirche gewesen, dass Juden diese Texte der Bibel bewahrt hätten:

Der Logos entschied sich, dem jüdischen Volk sein Ende zu verbergen, damit es die Schriften ohne Fehler für die Heiden bewahrte. Wenn es sein bitteres Ende klar vorausgesehen hätte, all das Gute, das die Propheten über die Heiden vorhergesagt hatten ..., an dem jene Beschnittenen in keiner Weise Anteil haben würden ..., dann hätte es sie [d.h. die Schriften] vernichtet.

Eusebius' Auffassung könnte sich in dem folgenden Kommentar des Talmud widerspiegeln:

Rab Ada ben Rab Chanina sagte: Hätten die Israeliten nicht gesündigt, so würden ihnen nur die fünf Bücher der Tora verliehen worden sein und das Buch Jehoschua, weil dieses die Wertschätzung des Israellandes ist. Weshalb? »Denn bei viel Weisheit ist viel Gram.« (Koh. 1,18).

Die Auseinandersetzungen mit dem Christentum haben jüdische Bibelauslegungen der vergangenen 1900 Jahre stark beeinflusst. Sie wirkten sich sogar auf den Zeitpunkt der Zusammenstellung der hebräischen Bibel durch Rabbi Akiwa aus, wie Mischna Sanhedrin 10,1 berichtet:

Ganz Israel hat Anteil an der kommenden Welt. ... Und diese sind es, die keinen Anteil an der kommenden Welt haben: ... Rabbi Akiwa sagt: Auch der, der die häretischen Bücher liest, oder der eine Wunde bespricht indem er sagt: (Ex. 15,26) »Keine der Krankheiten, die ich auf Mizrajim gelegt, werde ich auf dich legen, denn ich der Ewige bin dein Arzt.«

Mit dem Begriff »häretische Bücher«, (Sifrej haHizonim, wörtlich »externe Bücher«) bezeichnet Akiwa Schriften, die einige für heilig halten, die sich aber außerhalb des akzeptierten Kanons der heiligen Schriften befinden. Akiwas anschließende Bemerkung über abzulehnende Heilungsmethoden lässt vermuten, dass er dabei an die Bücher der Christen dachte. Der Grund für dieses Zitat aus dem Buch Exodus ist aber letztlich unklar. Welche Bücher waren »außerhalb« des Kanons? Akiwa und seine Zeitgenossen standen noch mitten in der Diskussion. Die Auseinandersetzung mit dem Christentum machte den Abschluss dieser Diskussion dringend erforderlich. In der modernen Wissenschaft gibt es eine nicht endende Debatte darüber, wann die so genannte »Trennung der Wege« zwischen Juden und Christen stattfand. Wahrscheinlich lässt sie sich nicht auf ein bestimmtes Ereignis zurückführen, sondern war ein allmählicher Prozess. Doch der spätest mögliche Zeitpunkt, den die moderne Wissenschaft für denkbar hält, ist die Zeit von Rabbi Akiwa. Er und viele seiner Kollegen unterstützten im Jahr 135 d.Z. den Aufstand Bar Kochbas gegen die Römer. Die Christen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft konnten die messianischen Ansprüche Bar Kochbas nicht akzeptieren und galten als Verräter der nationalen Sache. Nach dem Krieg verhängte Hadrian ein strenges Verbot über Juden, Jerusalem zu betreten. Dies galt natürlich auch für beschnittene Christen. Der Bischof von Jerusalem wurde durch einen heidnischen Christen ersetzt. Von da an konnte es zwischen den beiden Glaubensrichtungen keine Annäherung mehr geben. Die jüdische griechische Bibel, die so genannte Septuaginta, die um 250 v. d. Z. aus dem Hebräischen übersetzt worden war, enthält 14 Schriften, die schließlich nicht Bestandteil der hebräischen Bibel wurden und die nur durch die Kirche erhalten geblieben sind.
 


Hierzu in der Quelle: 
Fussnoten v. 61 - 85

Hilton, Michael
Wie es sich christelt, so jüdelt es sich
2000 Jahre christlicher Einfluss 
auf das jüdische Leben

Mit einer Einführung von 
Rabbiner Arthur Hertzberg
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Die Offensive der Missionare

 


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