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Das Feindbild schlechthin:
Die Pharisäer

Von Rabbiner Dr. Eugen Gärtner

Aus dem fünften Teil "Juden und Umwelt" der "Lehren des Judentums nach den Quellen" (III.Bd der 1999 ersch. Faksimile-Edition der Ausgabe  des Verbandes der Deutschen Juden v. 1928/30)

Das Urteil über die Pharisäer im Neuen Testament ist vom Standpunkt des Gegners aus gefällt. Schon weil es verallgemeinert und die Pharisäer samt und sonders verdammt, ist es ungerecht; aber seine falsche Einseitigkeit wird noch dadurch erhöht, dass der Gegner die Folie für die eigene Vortrefflichkeit abgeben soll.

Die Vorwürfe, die in der großen Rede Matth. 23 gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten erhoben werden, gipfeln in deren Brandmarkung als Heuchler und Scheinheilige. Diese Beurteilung der Pharisäer ging in das Allgemeinbewusstsein über, so dass man heute noch unter einem Pharisäer einen heuchlerischen, scheinheiligen und selbstgerechten Menschen versteht.

Wie konnte es zu dieser Charakterisierung der Pharisäer und Schriftgelehrten kommen?

Sie erklärt sich letzten Endes — und dann leicht — aus der starken Betonung, die die Pharisäer der mündlichen Überlieferung — neben der schriftlichen — gaben. Die Übung der Religion kann der festen Norm nicht entbehren, aber eine solche Norm war an sich mit dem bloßen Wortsinn der Tora nicht gegeben. Ihm waren auch ohne weiteres nicht die bestimmten Regeln zu entnehmen, die nötig wurden, sobald das allgemeine Gebot in bestimmter religiöser Übung verwirklicht werden sollte. Erforderlich war dann z. B. eine genaue Umschreibung der am Sabbat verbotenen Arbeiten oder eine feste Bestimmung der Begriffe "rein" und "unrein . Und neben dem Zwang zur Kasuistik erhob sich weiter auch die Notwendigkeit, neuen religiösen Bedürfnissen neue religiöse Formen und Inhalte zu geben. Die Pharisäer schufen beides in der Halacha, entwickelten kasuistische Regeln und neue "Gesetze" aus dem Schriftwort und setzten damit nur eine längst begonnene Entwicklung fort. Die Gefahr aber lag darin, dass die Tora hinter die mündliche Überlieferung zurücktrat, dass damit auch die Forderung der allgemeineren und mehr das Gesinnungsmäßige betonenden Gebote der Tora schwächer, und dass schließlich geglaubt wurde¶ mit der genauen Erfüllung der Einzelvorschriften, deren Kenntnis die mündliche Überlieferung vermittelte, habe man alles getan. Gegen eine solche "Werkfrömmigkeit" und die damit verbundene Zersplitterung der religiösen Aufgabe richten sich die Vorwürfe, die die Pharisäer als Heuchler und Scheinheilige brandmarken. Sie lassen es so erscheinen, als ob sich den Pharisäern die religiöse Übung ganz veräußerlicht habe, als ob ihnen der Bereich religiöser Forderungen, den wir Zeremonialgesetz nennen, alles und die Gebote eines ethischen Lebenswandels wenig oder nichts gegolten hätten.

Unbeeinflußte und gerechte Forschung, auch wenn sie zugibt, dass die Gefahr einer Veräußerlichung der Religion nicht immer umgangen wurde, muss diesem Urteil widersprechen. Die Halacha ist den Pharisäern nie ein starres System nur kasuistischer Regeln gewesen. Sie konnte es schon deshalb nicht sein, weil der Zusammenhang mit der Tora und den in ihr immer und immer wieder ausgesprochenen Grund g e s i n  n u n g e n  religiösen Tuns nie abgerissen ist. Den Pharisäern ist das "Gesetz" nur "Zaun um die Tora" gewesen, aber auch dieses soll in der "Freude des Gebots" erfüllt werden, und wo sie von vornherein nicht vorhanden ist, da soll die anfangs nur gewohnheitsmäßige Ausführung einer Vorschrift bald zur Erfüllung in "Andacht" werden (mitoch schelo lischma — lischma). Und mehr: die Halacha selbst richtet sich auf Inhalte, die ohne gesinnungsmäßige Grundlage sinnlos und unmöglich sind: die Verehrung der Eltern, in die sie die Achtung vor dem Lehrer einbezieht, die Ehrfurcht vor dem Alter, den Schutz des Tieres u.a. Und enthält nicht schließlich die endgültige Ersetzung des Opferdienstes durch das Gebet ein sittliches Moment erster Ordnung?

Es ist schon betont worden, dass die ideellen Möglichkeiten der pharisäischen Lehre nicht immer bewahrt worden sind. dass solcher Abfall keine Regel war, das zeigen Stimmen im eigenen Lager, die sich gegen Frömmigkeit aus Eigennutz und Heuchelei erheben; dafür ist auch Beweis, dass die  j ü d i s c h e n  Gegner der Pharisäer diese nicht in Bausch und Bogen verdammten und zwischen solchen, deren Lauterkeit unantastbar war, und solchen, die das Prinzip des Pharisäismus verdarben und ausnutzten, unterschieden. Und schließlich kann ja auch Jesus gegen dieses Prinzip an sich nichts einzuwenden haben, wenn er in seiner Anklagerede (Matth. 23.3) fordert: "Alles, was sie euch heißen, das tut und haltet!" All diese Gesichtspunkte, darauf soll noch hingewiesen werden, sind neuerdings von  n i c h t j ü d is c h e n  Forschern besonders herausgehoben worden. So steht zu erwarten, dass unbeeinflußt vom alten Vorurteil die richtigen Vorstellungen über das Wesen des Pharisäiamus sich durchsetzen und die falschen Begriffe von pharisäischer Frömmigkeit verdrängen werden.

Eugen Gärtner

Erschienen im fünften Teil "Juden und Umwelt" der "Lehren des Judentums nach den Quellen" (s. III.Bd der 1999 ersch. Faksimile-Edition der Ausgabe  des Verbandes der Deutschen Juden v. 1928/30)

V.Teil: Juden und Umwelt

I. - Abwehr fremder Anschauungen
...
3. Die Auseinandersetzung mit dem entstehenden Christentum.
4. Die Pharisäer
...
...
III. - Abweichung der christlichen Religion vom Judentum in den Erscheinungsformen
1. Stellung des Einzelnen zur Glaubenslehre
a) Jüd. Anerkennung individueller Glaubensauffassung
b) Christliche Bindung durch Dogmen

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Die Offensive der Missionare


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